Joachim Rohmann (1942-2011)

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Die Innere Welt als Spiegel
Martin Schuster (Köln): Einführung in die Ausstellung
(wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung des Autors)

Heute eröffne ich mit dieser Rede zum zweiten Mal eine Ausstellung Rohmanns - und es liegt nahe, auf die Entwicklungen und Veränderungen seiner Kunst einzugehen.

Er hat einen neuen Stil geschaffen: Es sind die Objekte mit wolkiger Oberfläche.

Hier ist zunächst die Kreativität des Künstlers zu loben. Er riskiert es, eine erfolgreiche Linie seines Schaffens zeitweilig zu verlassen. Ganz wie der Künstler der Renaissance musste er nicht nur eine bildnerische Idee hervorbringen, sondern auch die technischen Möglichkeiten der Umsetzung selbst erfinden. Das Ergebnis ist eine Neuerung, nicht einfach nur eine ganz geringe Verfeinerung des Bekannten. Es ist aber eine Neuerung, die dennoch die Kontinuität des Schaffensprozesses erkennen lässt. Das klare und harte Widerbild des Spiegels wird gedämpft, verwirrt unscharf und beinahe unsichtbar. Wie sind diese Bilder gemacht? Auf einem Spiegel kleben Glasplatten, die wolkig geätzt sind. Das Licht des Raumes wird nicht nur einfach von einer Bildoberfläche reflektiert, sondern von dem dahinterliegenden Spiegel mit jenem magischen leuchten aufgeladen, das die Objekte auszeichnet. Ich komme darauf zurück, dass wiederum - wie auch in Rohmanns bisherigem Werk - der Betrachter, ohne es zu merken, mitgespiegelt ist, also zum Teil des sichtbaren Kunstwerkes wird.

as war der Ausgangspunkt der neuen Entwicklung? Rohmann berichtete mir: Er sprach mit einem Besucher seiner Ausstellung, der forderte, das Kunstwerk müsse mehr wirkliche Tiefe haben. Vielleicht war dies als Kritik an den dort ausgestellten Bildern gemeint, vielleicht war der Besucher ganz bei seinen Ideen und gar nicht bei den Objekten seiner Umgebung. Auf jeden Fall liess dieser Anstoss Rohmann nicht mehr los. Er arbeitete daran, Tiefe in seine Bilder zu bringen. Der Samen war auf fruchtbaren Boden gefallen. Das Ergebnis seines Forschungsprozesses und der Bemühung um die Umsetzung der Idee sehen Sie hier vor sich.

Es ist nicht die visuelle Tiefe der Perspektive, sondern die Tiefe des Himmels mit seinen wechselnden und rätselhaft bedeutungslosen Wolkenstrukturen, die Rohmann mit seinem Material verwirklicht. Gelegentlich verstärkt ein halb-abstrakter Vordergrund den Eindruck endloser und fixationspunktloser Weite. Das Auge schweift, findet keinen Halt - und von der äusseren Tiefe nicht aufgehalten, wendet sich der Blick nach innen, zu den noch geheimnisvolleren Tiefen des Innenlebens.

In der Psychologie gibt es einen fast schon vergessenen Test, den Rohrschach-Test, der sich eines ähnlichen Prinzips bedient. Der Proband sieht Klecksbilder und muss angeben, was er in den wirklich bedeutungslosen Figuren zu sehen glaubt. Nun projezieren sich die Inhalte der Phantasie, die auch unbewussten Strebungen und Wünschen entstammen, nach aussen, geben sich bekannt, ohne dass der Proband selber es merkt.

Ganz in dieser Weise spiegeln die Kunstwerke Rohmanns nicht wie wirkliche Spiegel die äussere Welt, sondern sie spiegeln in einer ersten Schicht die innere Welt, die Welt der Phantasien und die Welt der unbewussten Triebe, die die Phantasien speisen. Wer nach Bedeutungen in den Wolken sucht, im Nebel und im Rauch, findet sich schliesslich selbst, so wie sich der Adept der Alchemie im Nebel seiner Labore und Reagenzien fand.

Dort suchte der Alchemist die magische Wandlung von Materie in Gold. Im gesuchten Sinne hat er sie nicht gefunden, wohl im übertragenen Sinn. Carl Gustav Jung deutet die Werke der Alchemie als psychologische Arbeit, als die Entdeckung nicht der Wandlung der Materie, sondern der Wandlung der Seele durch die "Symbole der Wandlung".

Der Betrachter kann, wenn er die Suche nach Bedeutung der nebligen Struktur aufgibt (ganz trivial: nicht fragt "was ist das?"), noch tiefere, noch geheimnisvollere Schichten des Seelenlebens gespiegelt finden. Er lässt den Blick schweifen, das Denken befreit sich aus den Fesseln der Bedeutung und gelangt zur Erkenntnis einer Einheit mit der Natur, der berühmten Erleuchtung oder der Unio-Mystika der christlichen Mystiker.

Dies ist - einfach gesprochen - das Prinzip der Meditation: Man belegt die bewussten Gedanken mit einer irrelevanten Aufgabe, mit einem Mantra, z.B. (ommm), das Denken ist verwirrt, schaltet sich aus, und die Intuition, die innere Sicht, gewinnt einen kurzen Moment von Bewusstsein. Ich meine dies ganz konkret, daher für Sie die einschränkende Instruktion:

Solche veränderten Bewusstseinszustände werden sich nicht hier und jetzt im Lärm einer Ausstellungseröffnung einstellen. Es ist auch kein Phänomen, das sich ohne Übung einstellt. Wer es erleben will, muss das Ausschalten der Gedanken trainieren. Die östliche Weisheit hat hier viele Wege gewiesen. Ein Weg ist die Lösung von unmöglich scheinenden Rätseln (Koans), etwa von der Klasse: Warum ist eine Fettecke Kunst? Dabei wird der Weg beschritten, das Denken in Bedeutungen leerlaufen zu lassen, um eben zu einer tieferen Schicht des Denkens vorzudringen.

Nicht umsonst verwendet die Wahrsagerin die Kristallkugel (aus der Geschichte sind auch Zauberspiegel überliefert, in denen die Zukunft zu sehen sei). Der Blick schwankt zwischen echter Wahrnehmung der harten Oberflächen und den verschiedenen Ebenen der Reflektion, löst sich aus der Wirklichkeit und wendet sich nach innen - zu einer nicht mehr freiwillig zu erreichenden Schicht der Intuition.

Gerade wurde Beuys erwähnt, bei der Fettecke haben Sie sicher an ihn gedacht, den Gründervater der heutigen "therapeutischen Kunst": Was ist mit therapeutischer Kunst gemeint?

Die Kunst hat schon vor einiger Zeit Anleihen bei der afrikanischen Kunst gemacht. Berühmt wurde Picassos Bild "Die Frauen von Avignon". Die Gesichter der jungen Frauen entpuppen sich bei genauem Hinschauen als afrikanische Masken. Mit diesen Anleihen aus dem Äusseren der afrikanischen Kunst wurde später in die europäische Kunst auch das Ziel vieler afrikanischer Kunst übernommen: der Schamanismus. Immer mehr entwickelt sich der Künstler zum Heiler, zum Schamanen, der sein Werk nicht in der privaten Praxis vollzieht, sondern der es als Ritual, als Aufführung in der Öffentlichkeit und für die Öffentlichkeit begeht.

Eine letzte Blüte dieser Kunstauffassung sind (teure) Kurse, in denen Manager Kunstwerken ausgesetzt werden und dann im Angesicht der Kunstwerke Wandlung und Läuterung erfahren sollen.

Wie ordnet sich Rohmann in diesen Strom, in diese wichtige Richtung der zeitgenössischen Kunst? Natürlich, es wurde schon gesagt: Indem er hilft, seelische Tiefe aufzudecken, in Innenbereiche vorzustossen, hilft er den Menschen zum Sinn, zur Weiterentwicklung, zum Kontakt mit sich selbst. Er ist soweit auch ein Psychotherapeut der Gesellschaft, ein Schamane, der anderen den Weg weist.

Dem einfachen Meditationsmittel fügt der strahlende Glanz der Spiegelobjekte noch etwas aus der Welt des Übertrittes in das Totenreich hinzu. Das todesfixierte Ägypten formte den Kupfer-spiegel in der leichten Verzerrung der untergehenden Sonne.

Mit dem Reich von Toten und Geistern, so weiss das Lexikon des deutschen Aberglaubens, hat der Spiegel reichlich zu tun. Die Seele des Verstorbenen fängt sich im Spiegel. Mit dem Spiegelbild kann man zaubern und man kann (unter günstigen Bedingungen, etwa um Mitternacht oder wenn man selbst am Totensonntag geboren ist) in die Zukunft schauen. Im Märchen spricht der Spiegel mit der schönen Königsmutter. Insgesamt wird der Spiegel so zu einem gefährlichen magischen Gegenstand, der bei wichtigen Wendepunkten wie Hochzeit oder Beerdigung und auch vor leicht verletzbaren Haushaltsmitgliedern, wie etwa kleinen Kindern, zu verhängen ist.

Im Spiegel sieht die Medusa ihr schreckliches Haupt und wird durch ihren eigenen Anblick besiegt. Der grässliche Geist sieht sich und wird durch seine Grässlichkeit abgewehrt - ebenso wie der böse Blick des neidischen Nachbarn.

Aber der Spiegel verdoppelt auch, macht mehr von dem, was schon ist, so sollte nur das Reine und Gute vor den Spiegel treten, nicht Krankheit und Unglück.

Rohmanns Spiegel, gekoppelt mit Kristallen (Wahrsagekristallen) und mit Blei (tatsächlich: Lötzinn), sind mit der traditionellen Magie aufgeladen; ihre gebrochene und durch Mattglasscheiben gedämpfte Wirkung lässt sie nur noch magischer erscheinen. In den tiefen Schichten unserer Seele wissen wir von der Magie der Spiegel, die in der Kindheit durch Märchen zu uns getragen und im Erwachsenenalter durch Redensarten im Bewusstsein gehalten wird. Worte wie Spiegelschrift und Spiegelei Spiegelfechterei und das Spieglein an der Wand künden in der heutigen Zeit von der ehedem grossen magischen Kraft des Spiegels. Diese schwingt und oszilliert in Rohmanns Kunstwerken.

Die Ahnung des Ominösen und Geheimnisvollen öffnet die seelischen Tiefen leichter und macht sie zugänglich.

Noch ein Wort zu den Kristallen: Die Romantiker sahen sie als eine Übergangsform der unbelebten Materie zu belebten Formen. Tief im Berg wuchsen die Kristalle und wahrten ihr Geheimnis. Dort sind sie an einer Stelle, wo auch Versteinerungen von frühen Versuchen eines Schöpfergottes zeugen. Diese Ahnung unserer historischen Seele in Bezug auf die Kristalle kommt in Rohmanns Arbeiten zur Kraft der Spiegel hinzu.

Das Zauberwerk der heutigen Zeit, der heutigen Kunst, ist weniger die magische Beeinflussung der Welt, als die Konzentration auf die immer noch geheimnisvolle Innenwelt des Menschen, deren Erforschung (nach Carl-Gustav Jung) erst das Ganzwerden im Laufe der Entwicklung ermöglicht.

Eine abschliessende Bemerkung: Die Kraft des Spiegels wurde für so gross gehalten, dass der Kunde beim Kauf eines Spiegels nicht feilschen sollte. Sicher, vielleicht ist im Ausnahmefall eine Ratenzahlung möglich ...

Der Wert der Kunst und ihr Preis stehen oft in einer ungesunden Wechselwirkung: Der hohe Preis wird zum Beurteilungskriterium des Kunstwerts. Bei Rohmanns Arbeiten verbinden sich Erfindungsgabe mit meisterlichem Handwerk sichtbar auf eine Art, die das Wort Kunst wieder näher an den Wortstamm "Können" rückt.


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