Joachim Rohmann (1942-2011)

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Kunst als Spiegel - Spiegel in der Kunst
Martin Schuster (Köln): Einführung in die Ausstellung
(wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung des Autors)

Ein psychologischer Sachverhalt, genauer ein kunstpsychologischer, soll eingangs zur Sprache kommen. In Texten in der Schule, fast immer in Kunstinterpretationen, sind die dargebotenen Dinge nicht nur sie selbst, sondern sie symbolisieren etwas, sie stehen für etwas anderes. Immer fragt sich der so Belehrte, der Schüler, der Zuhörer z.B. bei Kunstvorträgen: Warum ist es so? Kann die Sache nicht nur diese Sache sein und nichts anderes? Ist es denn nicht nur eine feinsinnige aber auch blödsinnige Dazuerfindung, die uns immer wieder nahegebracht wird? Für mich ist eine Milchdose eben nicht das Mütterliche; aus, basta.

Ein anderer Sachverhalt: Man sieht eine Person flüchtig von hinten und sofort weiß man: das ist der Peter (den man evtl. auch schon lange nicht gesehen hat). Man sieht eine Kirche: sie sieht so ähnlich aus wie eine, die wir kennen. Das bleibt nicht verborgen. Um zu erkennen, was etwas ist, muß ja alles Ähnliche, das Benachbarte mit abgerufen werden. Dann erst kann die Entscheidung getroffen werden: das ist es oder ist es nicht.

Man muß sich Gegenständen gegenüber auch verhalten, z.B. gegenüber der Schlange oder gegenüber dem Sirenenton. Also sollten auch alle Gefühle immer mit aufgerufen werden, alle Erfahrungen die mit der gesehenen Klasse von Gegenständen gemacht wurden (Die wahrgenommene Sache ruft den Begriff auf: welche Verhaltensregeln sind dort gespeichert z.B. bei Schlange: nicht bewegen).

Aus Experimenten weiß man, daß sich die Reaktion, die auf einen bestimmten Begriff konditioniert wurde, auf den Oberbegriff generalisiert. Also ruft eben doch die Dose Kondensmilch die Begriffsreihe Milchbehälter auf und Busen und Muttermilch und das Mütterliche mischt sich ein, ob wir wollen oder nicht, ob wir es bemerken oder nicht. (Übrigens finden sie auf der Bärenmarkendose die Abbildung einer Bärenmutter, die ihrem Jungen die Flasche gibt).

Im Spiegel nun sieht man vorzüglich eines, nämlich sich selbst. Alles, was das Aussehen anlangt wird nun bewußt, bin ich schön oder häßlich, sehe ich heute gut aus oder krank. Stimmt die geschminkte Maske?

Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land fragt bezeichnenderweise die Schwiegermutter im Märchen vom Schneewittchen.

Andere Eigenschaften des Ich werden mit aufgerufen: Was bin ich? Ein männlicher, 45jähriger Rheinländer. Weiter gehen die Gedanken: wie sollte ich sein, freundlicher, die Schulter hochhalten. Die Gedanken zum realen Ich rufen Gedanken zum idealen Ich auf.

Der Spiegel macht also im eigentlichen Sinne "selbstbewußter", indem er alles das, was an Gedanken zum Selbst gehört, bewußt macht. Dies mag quälend oder bestätigend sein, es färbt die Reaktion auf die Spiegelkunst. Während man sich im Landschaftsanblick verliert, vergißt, und einen Moment die Einheit mit der Natur erlebt, wird man vor dem Spiegel zum Individuum, getrennt, abgehoben vom sozialen anderen.

Nun wird mein eigenes Urteil zur Kunst gefragt: Wie denke ich als Individuum, was gefällt mir? Mein Weg durch die Welt wird zum Thema mit den Entscheidungen, die ich verantworten muß.

Und es gibt noch einen ganz andern Kontext, in dem Spiegel auftreten. Sie zaubern eine illusionäre Realität. Sie sind Zaubermittel.

Warum eignet sich der Spiegel im speziellen so gut dazu, Dämonen abzuwehren (wie z.B. die Medusa)? Dies ist eine weitere Sache. Vor dem Angriff gibt es bei Primaten, auch bei Menschen, das drohende Starren: das Drohstarren. Karl May beschreibt die kleine Erweiterung des Auges vor dem Angriff. Jugendbanden reagieren auf das direkte Anblicken mit Aggressionen. Der Spiegel leitet den Blick nun auf den Angreifer zurück, erschreckt den Dämon mit seinem eigenen Erschreckungsmittel. Nach König (einem Ethologen) gibt es den Volksglauben: Wer scharf in den Spiegel schaut, kann sich selbst töten oder sich im Siegel verlieren. Vielleicht sollen daher die jungen Mädchen nicht allzu hoffärtig sein. In der Tracht der holländischen Jungfrau schützt der Spiegel vor dem bösen Blick (sogenannte Ohreisen). Insofern schützen Spiegel; dahinter liegt der Schatz: der hier anwesende Schatz.

Die assoziative Maschine operiert auch auf Schnittmengen: Der Spiegel und Metallgitter, Bleche, Mattierungen. Was ist benachbart, so ähnlich? Das wird jetzt in der spezifischen Verbindung von Bedeutungen ausgetaktet.

Spezifisch für Rohmann ist das mattierte Glas: Der Spiegel hält Dein Bild zurück, sammelt Energie ein, akkumuliert wie Reichs Orgon Akkumulator in der Verbindung der Materialien. Das Ich wird nicht scharf zurückgeworfen, sondern verliert sich in der metallischen Oberfläche, verstreut das Licht, verstreut das Ich. Vor der mattierten Oberfläche sind alle gleich.

Im Material werden graphische Qualitäten sichtbar: das breite Ende des weichen Strichs in der Lötstelle, die weiche Biegsamkeit und Rißform der Bleche.

Das Material taktet aber auch das Übertragene an, die Reflexion, die Widerspiegelung, den Kristallisationspunkt und Kulminationspunkt, die sichtbare Fixierung.

Hier gilt für Rohmann, was Müller Freienfels trefflich über den Künstler schreibt (Die Seele des Alltags 1925, S. 144):
"Die Sterne am Himmel und die Wellen des Meeres, die Bäume des Waldes, ja der Lärm der Großstadtmassen erhalten durch große Künstler eine Stimme welche andere Menschen verstehen und die ihre Herzen zu rühren vermag. Aber die Künstler erfinden nicht aus freier Luft diese seelischen Beziehungen der Dinge. Denn dunkel und keimhaft hat jeder Mensch ein Gefühl für die Symbolik der Dinge." 

In diesem Sinne führen Rohmanns Werke zu tieferen Fragen der Reflexion über das Leben. In vielen seiner Werke spielt die Polarität von rechts und links eine Rolle. Eine Mittelachse trennt die Hälften, die aber wieder durch Gitter geschient, verbunden, geheilt werden.

Diese Polarität steht für die verschiedenen Polaritäten des menschlichen Lebens, des menschlichen Denkens, wie Gut und Böse, Hell und Dunkel, Ying und Yang.

Der asiatische Mensch hat in seiner Philosophie, z.B. der Zen Philosophie, die Möglichkeit, die Einheit der Gegensätze in der Meditation zu erleben. Dem europäischen Menschen gibt die Kunst die Einsicht der Einheit, der Klammer, die über den Gegensätzen liegt. Durch den weiteren Blick, durch die philosophische Distanz werden die Gegensätze überwunden, so wie der Gegensatz zwischen Auf und Ab aus der Distanz durch den Begriff des Berges geeint wird.

Die weichen Lötstellen vermitteln den Charakter einer Wunde, die heilt, die dennoch Bruchstelle ist. Ganz im Sinne der Beuys'schen Aufforderung "Zeige mir Deine Wunde" zeigt Rohmann seine Wunde, bietet Rohmann die Gemeinschaft im Leiden an.

Wenn nämlich Rohmann auch vermeidet, den Betrachter durch Titel für seine Werke in assoziative Richtungen zu drängen, so ist er selber sehr spezifisch, ja genau in der Bedeutungsgestaltung, in der Umsetzung von menschlicher Erfahrung in seine Bilder.

Das Geschenk an den Freund setzt die Markierungen der 5 Dekaden als Kristallisationspunkte, der große Mann mit seinen Vögeln wird durch eine mächtige Silhouette und wiederum 5 Kristallpunkte visualisiert. Die Werke sind mit solchen zwischenmenschlichen Empfindungen aufgeladen und enthalten sie auch: Die Jahrzehntepunkte für den 50. des Freundes wollten nicht halten. Der Freund verstarb. Der Künstler hat das Bild mit einem Teil der Energie des Freundes als Freund wieder zu sich genommen.

Der Betrachter mag diese Angebote entdecken, in sich zum schwingen bringen, er mag die Kristallisationspunkte mit den Erfahrungen seiner eigenen Lebensgeschichte anreichern.

Die Chance der nichtgegenständlichen Kunst liegt darin, sonst übergangene Bedeutungen, weniger aufdringliche Bedeutungen in den Vordergrund zu bringen, vorzutragen. Bei Rohmann ist es die Symbolik der Zahlen. Nun gibt es keine eine, festgelegte "übertragene" Zahlenbedeutung. Um aber dem Zuhörer und Betrachter von Rohmanns Werken eine Idee von Zahlensymbolik zu geben, trage ich die Hermetische (nach dem Hermes) Symbolik vor, wie sie in der Alchemie, die eine komplexe Symbolik der Verwandlung hervorbrachte, Verwendung fand:

null:  das Ewige
eins:  die Einheit, der Anfang, der Mittelpunkt des Kreises
zwei:  die Dualität, die Gegensätze, die Doppelnatur 
drei:  Trismegistus, der dreimal Große, die größte Macht
vier:  die göttliche Quaternität, Gott, Vollkommenheit
fünf:  die Quintessenz
sechs:  Schöpfung, Schönheit, glücklicher Zufall
sieben:  sieben Metalle sind am Werk beteiligt
acht:  der Beginn der Transformation des Quadrates in den Kreis, 7 plus eins, die Vollendung des Zyklus
neun:  die unzerstörbare Zahl
zehn:  die Vollendung und Rückkehr

Zugeordnet, eingeordnet in die Glaskunst und die Spiegelkunst, wie sie uns durch Werke von Bonato und Luther bekannt sind, geht Rohmann einen eigenen, neuen Weg. Er erschließt der Kunst neue Möglichkeiten, die sich aus dem Material, aber auch aus dem Kopf und dem Herz des Künstlers ergeben. Jedes Werk ist ein Original, unkopierbar, selbst Rohmann kann es nie wieder machen. Als einmal ein Werk beschädigt wurde stand er vor der Unmöglichkeit, sich selbst zu kopieren.

Passives Widerspiegeln und die passive Leuchtkraft des Mondes stehen für das Weibliche, ganz im Gegensatz zur aktiven Sonne früherer Spiegelexperimente. Im Einbezug des Weiblichen, zeigt sich der Schamane, der eben auch weibliche Eigenschaften in sich zuläßt und so versucht, die Gegensätze zu einen.


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